Rutger Bregman | Utopien für Realisten | Rowohlt 2017 | Originaltitel: Utopia for Realists
304 Seiten | Taschenbuch ISBN 3499633000 | Denkt dran: Kauft es besser bei Eurem Buchladen um die Ecke.
Das Buch thematisiert neben der Chance auf eine 15-Stunden-Woche vor allem Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber selbst wenn man dem skeptisch gegenüber steht, lohnt die Lektüre, denn es strotzt geradezu vor überraschenden historischen Anekdoten und Studien zum Thema Geld, Ökonomie und Kapitalismus. Zum Beispiel der sechs Monate anhaltende, irischen Bankerstreik, an dessen Ende man verwundert feststellen musste, dass die Irische Wirtschaft gewachsen war. Ganz im Gegensatz zum Streik der New Yorker Müllmänner. Zwei Jahre früher als der Ausstand in Irland dauerte er gerade mal neun Tage und legte die Stadt innerhalb kürzester Zeit lahm, was ein interessantes Licht darauf wirft, welche der beiden Berufsgruppen “systemrelevanter” ist, wenn man sich der Pandemie Begriffswelt bedienen möchte.
Eloquent, Überzeugend und hilfreich.
Bregman schreibt klug, überzeugend und kurzweilig und arbeitet seinen Stoff mit den Mitteln des Historikers, der er eigentlich ist, auf. Er beginnt mit einer Graphik der nicht minder lesenswerten Autorengruppe um Hans Rosling [1], die zeigt wie viel Besser es der Menschheit heute überall auf der Welt in Bezug auf Einkommen und Lebenserwartung geht als noch im Jahr 1800. Er nutzt diese Basis dafür, um ein sehr ähnliches Argument aufzumachen, wie Rob Hopkins [2] in seinem Buch “From What Is to What If”: “Das wahre Problem […], ist nicht, dass es uns nicht gut ginge oder dass es uns […] schlechter gehen könnte. Nein, das wahre Problem ist, dass wir uns nichts besseres vorstellen können.” und damit warum es heute Utopien bedarf. Von diesem Ausgangspunkt macht uns Bregman mit einer Vielzahl von Studien, Autoren und Geschichtlichen Hintergründen bekannt, die seine Argumentation unterstützen. Wir lernen etwas über die Ursprünge, die Tauglichkeit und den Sinn des Bruttoinlandsproduktes als weltweites Maß für Wohlstand, genau so wie über den Werdegang des Neoliberalismus von einer kleinen Gruppe von Außenseitern zur beherrschenden Wirtschaftslehre unserer Zeit. Er zählt die überraschenden Ergebnisse von Studien auf in denen Untersucht wird, was Geldgeschenke bewirken, dass Geldknappheit IQ Punkte kostet [3] oder dass Gemessen daran, wie viel eine Gesellschaft von einer Tätigkeit profitiert Recycling ArbeiterInnen oder ErzieherInnen einen bezifferbar hohen Nutzen stiften, während City Banker die Gesellschaft deutlich mehr kosten als sie leisten [4]. Er streift dabei auch Ideen wie die von David Graeber [5] über Bullshitjobs, die besagt, dass die Arbeit deswegen nicht weniger wird, weil wir uns die unnötigsten Tätigkeiten ausdenken, für die man nichtsdestotrotz eine teure Ausbildung braucht und die entsprechend gut bezahlt sind. Alles um die Wirtschaft weiter wachsen zu lassen, während wiederum die jobs die wirklich gebraucht werden, wie KrankenpflegerInnen oder ErzieherInnen entsetzlich schlecht bezahlt werden.
Ein positives Fazit.
Das alles basiert auf einer, soweit ich es beurteilen konnte, guten Quellenlage, ist aber trotz allem keine Wissenschaftliche Abhandlung. Das positive daran ist, dass es durchweg lesbar und gut argumentiert ist. Allerdings bleibt es meiner Ansicht nach auch in vielem nur an der Oberfläche. Bregman bespricht zwar, verschiedene Beispiele für das bedingungslose Grundeinkommen und aber sein Beleg, dass es notwendig ist und auch auf breiter Basis funktioniert, basiert nur auf Indizien. Wie könnte es auch anders sein. Letztendlich liefert er vielfältigen Stoff für Ideen und Diskussionen und das ist, denke ich auch eines der wichtigen Ziele des Buches. Den Raum für Ideen und Austausch weiter auf zu machen.
Über Rutger Bregman.
Bregman wurde 1988 in den Niederlanden geboren und Studierte Geschichte in Utrecht und an der University of California. Er, war schon vor seinem 2016 erschienen Buch ein bekannter Publizist. Er veröffentlichte neben zwei Büchern, die derzeit nur auf Niederländisch erhältlich sind auch in der Washington Post und bei der BBC und wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet. Er hielt mehrer TED Talks darunter “Poverty Isn’t a Lack of Character; It’s a Lack of Cash” der als einer der Top Ten Ted Talks von 2017 ausgewählt wurde.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er 2019 einer Einladung zum Weltwirtschaftsforum in Davos folgte und eine feurige Rede zum Thema “Besteuerung von Reichen” hielt und noch im selben Jahr den FOX Moderator Tucker Carlson [6] dazu brachte während eines Interviews gegen ihn ausfällig zu werden.