Mein Konsumverhalten wird die Welt nicht retten und die Appelle sind ermüdend. Egal wieviel vegane Bio-Haarseife ich kaufe. Ich wünschte Instagram würde das endlich lernen und aufhören mir Werbung für nachhaltige Start-Up Produkte zu präsentieren. Aber was rettet die Welt dann?
Das Anthropozän
Es scheint, als hätten wir einen alten Auftrag erfüllt und uns die Erde untertan gemacht. Dafür spricht der Vorschlag der Wissenschaftler Paul Crutzen und Eugene Stroemer, unser Zeitalter als „Anthropozän“ zu bezeichnen, was in etwa bedeutet: Das durch die Menschheit bestimmte Zeitalter. Es löst dann das Holozän, das Nacheiszeitalter ab, das erst vor etwa 11.700 Jahren begann.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Wir reden hier nicht über vergleichsweise kurze Epochen der menschlichen Entwicklung, wie zum Beispiel die Jungsteinzeit, die im zehnten Jahrtausend vor Christus begann, zu einer Zeit, als Menschen die ersten Städte, wie Jericho, gründeten. Wir reden hier über erdgeschichtliche Epochen, die in der Regel viele Millionen Jahre andauern.
Die Erdgeschichte beschreibt die geologische Entwicklung der Erde und reicht also etwa viereinhalb Milliarden [1] Jahre zurück. Die beiden niederländischen Wissenschaftler wollen damit also zum Ausdruck bringen, dass der Mensch zum beherrschenden geologischen Faktor unserer Zeit geworden ist. Es könnte die mit großem Abstand kürzeste, erdgeschichtliche Epoche aller Zeiten werden. Wie kurz kann man hier nachvollziehen.
Dass die Menschen zu einer gewaltigen, planetenverändernden Kraft geworden sind, ist eine Einschätzung, die unter anderem [2]) die Wissenschaftler des Potsdam Instituts für Klimaforschung, (PIK, eines der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Forschungseinrichtungen zu Thema Klimawandel weltweit [3]) zu teilen scheinen: „Durch die Ansammlung unserer Emissionen in den letzten 140 Jahren ist die Menschheit zu einer geologischen Kraft geworden. Wir erschaffen Wüsten, wir verändern die Art und Weise, wie die Ozeane und Luftmassen zirkulieren, wir zerschlagen Gletscher und terrorisieren die Ökosysteme, von denen wir selbst abhängen.“ [4]
Wir zerstören die Welt nicht aus Versehen, aber ohne Absicht.
Um bei den Bibelbezügen zu bleiben: Dass Gott uns, „nach seinem Bilde schuf„, können wir auch so verstehen: Die Menschheit in Summe, ist so mächtig wie ein Schöpfergott. Zumindest was unseren eigenen Planeten betrifft. Das Einzige, was uns von einem kreativen, allmächtigen Wesen unterscheidet, ist die Absicht. Was uns dann wohl doch eher zu so etwas wie einer Krankheit macht. Aktuell ist der menschliche Einfluss auf unseren Lebensraum überwiegend negativ und führt womöglich dazu, dass unser Planet in weniger als 100 Jahren nahezu unbewohnbar werden wird. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die das ehrlich anzweifeln und einige wenige mögen es in Kauf nehmen, aber ich wage zu behaupten, dass der allergrößte Teil der Menschheit nicht die Absicht verfolgt, unseren Planeten nachhaltig zu zerstören. Und doch tun wir genau das. Wie merkwürdig: Wir zerstören den Planeten nicht aus Versehen, denn wir wissen ja genau was auf dem Spiel steht und was zu tun wäre. Aber doch ohne Absicht.
Die Summe unseres Handelns hat die Zerstörung unserer Welt zur Folge, ohne, dass wir das als Idee oder Ziel verfolgen. Es ist nur ein Nebeneffekt unseres Handelns, den wir bisher in Kauf genommen haben. Denn: Weder die Zerstörung noch die Rettung der Welt hängen von den Handlungen eines Einzelnen ab, aber das Handeln eines jedes Einzelnen von uns trägt heute unweigerlich zum Untergang bei.
Statistisch gesehen ist es egal, was der Einzelne tut.
Wir wissen genau, was am Ende notwendig wäre, zum Beispiel weniger CO2 zu produzieren, aber wo anfangen? Egal wie sehr der Einzelne sich Mühe gibt, es wird nie ausreichend sein, um etwas zu verändern und umgekehrt hat auch das Fehlverhalten eines Einzelnen praktisch keine Auswirkungen. Statistisch gesehen ist die Auswirkung eines positiven Beitrags wie: „Ich lasse das Auto heute stehen“, so wie die eines negativen Beitrags: „Heute fahre ich aber mal mit dem Auto“ praktisch gleich null [1]. Trotzdem möchten die Einen den Anderen ihren SUV schlecht reden und es entstehen Phänomene, wie Flugscham während umgekehrt eine Verbotskultur und die Ökobilanz von E-Autos angeprangert wird. Die, die gerne etwas ändern würden, kämpfen gegen Windmühlen. Diejenigen unter uns, die weiter machen wie bisher, tun es in der Gewissheit, dass es auf ihre Handlung im Grunde nicht ankommt und beide haben, so merkwürdig es ist, Recht. Zumindest statistisch betrachtet, aber Statistik ist hier ein schlechter Ratgeber.
Das beste Argument, dass die Veränderungswilligen den Unwilligen gegenüber auf ihrer Seite haben, ist: „Wenn sich alle so verhalten würden wie Sie, dann wäre die Welt verloren“. Natürlich würde es etwas verändern, wenn tatsächlich alle ihr Konsumverhalten ändern würden, aber dürfen wir das erwarten? Die erstaunliche Antwort ist: Ja, dürfen wir! Tatsächlich sollte genau das geschehen, wenn wir Geduld haben und uns Zeit nehmen. Das Problem ist: Die Zeit haben wir nicht und große, komplexe Systeme, wie diejenigen, die für den Klimawandel verändert werden müssten, wie die globale Ökonomie, unsere Mobilität, die Nahrungsmittelindustrie, die Energieversorgung, sind schwer zu verändern. Egal wie schlecht sie sind. Der Kolonialismus war ein gräßliches System, das sich 450 Jahre gehalten hat und unter dessen Auswirkungen noch heute Menschen zu leiden haben. Viele mächtige Menschen und gewaltige Strukturen wurden von ihm getragen. Er wurde bis zuletzt als notwendig verteidigt und ging nur in Folge der zwei großen Kriege des letzten Jahrhunderts zu Ende.
In dieser Art Diskurs entsteht gerne der Eindruck, dass vom Verhalten der einzelnen Konsumenten das Abwenden der Klimakatastrophe abhängt. Das ist in sofern falsch, weil das nur funktioniert, wenn der allergrößte Teil an einem Strang zieht, was wahrscheinlich nicht schnell genug geschehen dürfte. Aber alleine, dass es theoretisch möglich wäre, bringt den Weltverbesserer zur Verzweiflung, denn es wäre ja so einfach, wenn nur jeder sich ein bisschen Mühe gäbe. Auch wenn Viele das „gute Beispiel“ und den dadurch langsam entstehenden gesellschaftlichen Druck, quasi als Königsweg des gesellschaftlichen Wandels sehen, weil Revolutionen zu blutig sind, ist es tatsächlich die schwerste und langsamste Art einen Wandel herbeizuführen und das kann man erklären.
Ich stelle mit gerne vor, dass alle Veränderung vier Stufen durchläuft, wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge:
Erkenntnis: Im Paradies gibt es keine Shrimps.
Verantwortung entsteht in den meisten Fällen aus Wissen oder Wahrnehmung. Und hier kommt schon der nächste Bibelbezug, denn Adam und Eva aßen bekanntermaßen vom „Baum der Erkenntnis“. Kein Wunder, dass damit der paradiesische Zustand, den sie bis dahin kannten, beendet war. Ein Beispiel: Den allergrößten Teil meines Erwachsenenlebens habe ich Shrimps gegessen. Ich liebe Shrimps. Seit ich wusste, dass Shrimp Fischerei, die höchste Beifangquote hat und die Netze, die man dazu benutzt, riesige Gebiete des Meeresbodens nachhaltig verwüsten, habe ich nur noch gezüchtete Shrimps gegessen. Seit ich weiß, dass für Shrimpzucht alleine in Ecuador 75% der Mangrovenwälder zerstört wurden und diese dort immer noch die Gewässer vergiften und dass das, für mehr oder weniger, alle Shrimpfarmen auf der Welt zutrifft, habe ich nur noch gezüchtete Bio-Shrimps gegessen. Seit ich vermuten muss, dass die Biozertifizierung von Zuchtshrimps ein Ettikettenschwindel ist, esse ich gar keine Shrimps mehr. Im Paradies gibts keine Shrimps. Doch bevor ich etwas ändern konnte, musste ich wissen, dass es da ein Problem gibt.
Wille: Ein Produkt der Überzeugung.
Ich kann anerkennen, dass es ein Problem gibt und trotzdem nichts ändern. Das ist nicht besonders erwachsen, kommt aber dennoch häufig vor. Das Phänomen der kognitiven Dissonanz erlaubt es uns, wider besseren Wissens zu handeln. Auch wenn ich all das über Shrimps weiß, was ich über Shrimps weiß, muss das nicht dazu führen, dass ich aufhöre, welche zu essen. Aber ohne dieses Wissen würde ich damit nie aufhören. Ein anderes Beispiel: Zwischenzeitlich hat jeder schon einmal etwas über die erbärmlichen Bedingungen für Mensch und Tier, in der Massentierhaltung und deren Bedeutung für den Klimawandel gehört. Dem konventionellen Fleischkonsum hat das bisher kaum Abbruch getan. Trotz dieser Erkenntnis ist deshalb oft Überzeugung notwendig, bevor Menschen etwas ändern, besonders, wenn der eigene Beitrag so gering bewertet werden muss und der Einfluss des eigenen Handelns kaum sichtbar wird. Man muss es also schon wollen.
Möglichkeiten und die Größe des Einflusses: Es kommt nicht nur darauf an etwas zu tun, es muss auch der eigenen Verantwortung angemessen sein.
Manche haben tatsächlich gar keine Möglichkeit etwas zu ändern oder der Aufwand dafür ist so groß, dass es zur Unmöglichkeit wird. So kann die Möglichkeit auch so klein sein, dass sie praktisch wirkungslos wird. Dennoch entsteht Verantwortung. Und zwar in beiden Fällen. Schauen wir noch mal nach Ecuador: Dort gibt es praktisch kein öffentliches Transportwesen. Weder für den Handel, noch für die Personenbeförderung. Und die Transportmittel, die es gibt, hängen beinahe zu 100% von fossilen Brennstoffen ab. So kommt es, dass eine kleinbäuerliche Andengemeinschaft verantwortlich für den CO2 Ausstoß ihres Kleinlasters ist, mit dem sie ihre Ware auf den Markt fährt. Die Möglichkeit, etwas daran etwas zu ändern ist aber mit beinahe unlösbaren Umständen verbunden. Deutschen SUV Fahrern ist es in der Regel leichter möglich zu handeln, weil sie, einfach durch die Möglichkeit, ein anderes Gefährt zu kaufen, einen größeren Einfluss auf ihr Handeln haben. Aus dieser Diskrepanz der Möglichkeiten, zwischen Andenbauern und deutschen SUV-Fahrern entsteht eine unterschiedliche Menge an Verantwortung. Je größer der Einfluss auf die Wirkung, die das eigene Handeln hat, desto größer ist die Verantwortung. Oder in einer einfachen Formal ausgedrückt: Mehr Einfluss auf Entscheidungen mit Wirkung zu haben, bringt mehr Verantwortung.
Die Tat
Wenn Erkenntnis, Möglichkeit und Wille da sind, erfolgt auch die Tat. Das ist nur in sofern interessant weil es bei denen, die Wissen, Möglichkeit und Einfluss haben, ein besonderes Licht auf den Willen wirft. Je größer Möglichkeit und Einfluss sind und damit die Verantwortung wächst, desto größer ist die Schuld, wenn die Tat nicht erfolgt. Deshalb können wir auch von moralischer Verantwortung sprechen. Letztendlich muss die Tat dann vor allem noch angemessen sein. Wenn die Andenbauern so wenig mit ihrem Kleinlaster fahren, wie es möglich ist, dann ist das im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen. Wenn ein global agierendes Unternehmen, wie H&M, eine Collection aus recycelten Materialien oder Bio-Baumwolle anbietet, ist das Greenwashing, denn der Schaden, den das Unternehmen anrichtet, steht dazu in keinem Verhältnis.
Wohin nun mit der Flugscham?
Was für ein Fazit soll man aus all dem ziehen? Zunächst einmal: Jeder, der handelt, durchläuft die vier Stufen und je mehr handeln müssen, desto größer ist der Aufwand, z.B. „Erkenntnis“ herzustellen und zum „Willen“ zu überzeugen. Jeden einzelnen Konsumenten in die Pflicht zu nehmen, ist gemessen an der Tatsache, dass die Möglichkeiten des Einzelnen nicht sehr einflussreich sind, schlicht und einfach ineffizient. Es macht keinen Sinn, Überzeugungskraft zu verschwenden, um sich darüber zu streiten, ob man nun für 50€ mit dem Flugzeug nach Berlin fliegen darf, statt für 250€ mit der der Bahn zu fahren. Das Problem ist, dass es überhaupt so günstige Flugtickets gibt und aber auch, dass Bahntickets so teuer sind. Wenn man also Inlandflüge verhindern möchte, ist es nicht nur wichtig Flüge zu verteuern. Gleichzeitig wäre es gut, z.B. die freigewordenen Subventionen in die Vergünstigung von Bahntickets zu stecken, denn dann wollen auch mehr Menschen, die es sich theoretisch trotzdem noch leisten könnten, lieber mit der Bahn fahren.
Nach Angaben des Bundesumweltamtes wurden Flüge in „Vor-Corona-Zeiten“, jährlich mit fast 12. Mrd. subventioniert. Damit wurden in 2018 ca. 223 Mio. Fluggäste befördert. Auch die Deutsche Bahn wurde vor Corona jährlich mit ca. 4 – 5 Mrd. bedacht, beförderte aber in 2018 ca. 2.881 Mio. Fahrgäste, also mehr als zehn mal so viel. Fluggesellschaften haben die Anzahl ihrer Flüge zwischen 2014 und 2018 um 20% steigern können. Die Bahn nur um 7%.
Eine viel größere Verantwortung für diese Entwicklung und die Tatsache, dass es so günstige Flugtickets gibt, trägt also nicht der Reisende, sondern die Politik mit ihrer Förderpraxis. Das Bundesumweltamt selbst, prangert die Flugsubventionen als klimaschädlich an. Also, Erkenntnis: Ist da! Möglichkeit und Einfluss: Beides vorhanden! Kommt keine Tat zustande, fehlt nur der Wille. Aber: Die Subventionssummen für die Bahn werden sich zukünftig mit jährlich fast 17 Mrd. Euro bis 2030 ändern. Rechnet man allerdings die Coronahilfen für diverse Fluggesellschaften mit ein, ist der Unterschied nicht gar so groß.
Alles in Allem ist es ein Irrglaube, wir könnten die Welt rechtzeitig durch richtige Konsumentschiedungen retten. Ein Beispiel, wie schnell eine gute Idee Wirksamkeit entwickelt, die man dem freien Markt überläßt: Die Fläche für den ökologische Landbau hat sich zwar seit Mitte der neunziger Jahre in über 25 Jahren verfünffacht. Klingt nach einem Punktsieg für die freie Marktwirtschaft. Aber die Fläche beträgt in Deutschland nach einem Vierthjahrhundert immer noch nur knapp 8% der gesamten Anbaufläche.
Und hier ein Beispiel, was passiert, wenn Verantwortliche ihre Verantwortung wahrnehmen und angemessene Maßnahmen umsetzen: Der Bleigehalt in der Luft hat sich in fünf Jahren auf ein Zehntel verringert, nachdem es als Benzinzusatz in 1988 endgültig gesetzlich verboten worden war. Ein anderes Beispiel: Die EU musste ein Plastiktütenverbot nur ankündigen und schon kündigte ein Handelshaus nach dem anderen an, Plastiktüten nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr anzubieten. Ähnlich wie beim Einwegplastik: Die EU kündigt ein Verbot ab 2021 an, REWE reagiert 2019.
Es macht keinen Sinn, Menschen, die sich zwischen einem 50€ und einem 250€ Ticket entscheiden müssen, Flugscham einzuimpfen. Die Menschen, die für das Zustandekommen solcher Preise verantwortlich sind, müssen handeln! Sich zu entscheiden nicht, zu fliegen, hat dennoch seinen Sinn, und zwar, wenn man sie auf sich selbst bezieht. Denn: Auch wenn der Einfluss des Einzelnen verschwindend gering sein mag, die Verantwortung, wie schon geschrieben, bleibt. Wir alle sollten darauf achten, wie wir uns verhalten, doch wenn wir schon auf andere zeigen, dann nach oben. Auf die, die großen Einfluss auf die Dinge haben. Und es gibt noch einen Grund, letztendlich doch auf den Flug zu verzichten, den kleineren Wagen zu kaufen, die Plastiktüte nicht mit zu nehmen, Müll einzusammeln und Bio-Fairtrade-Haarseife zu kaufen. Der Einfluss mag gering sein, aber wir wissen nicht genau, wie gering. Wer weiß, wie unser Handeln auf Freunde und Kollegen, die Familien und auch Fremde wirkt, die neben uns am Marktstand stehen und auf unseren schönen, mit buntem Obst und Gemüse gefüllten Korb schauen, während sie selbst, sich alles in Plastiktüten einpacken lassen. Die Verantwortung des Einzelnen führt so zum langfristigen Wandel der Gesellschaft, der zwar zu langsam sein mag, aber dennoch notwendig.