der universaldilettant

Geteilte Meinungen

Nichts ist selbstverständlich.

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Dieser Blog und seine Autoren befassen sich mit Texten und andere Beiträgen über die unfassbare Gegenwart und die unmögliche Zukunft.

Damit Du diese Zeilen lesen kannst, musste ein Universum entstehen. Nur um das mal ins rechte Licht zu rücken: Das ist alles andere als selbstverständlich. Wir wissen nicht, woher wir gekommen sind. Unser Universum und sein Ursprung und damit unser eigener sind für uns, nach wie vor, das ultimative Mysterium und es ist nichts in Sicht, was diese Fragen beantwortet.

Das nichts selbstverständlich ist, trifft zu, egal ob wir der Überzeugung sind, dass das Universum zufällig entstanden ist und somit alles Zufall sein muss, oder im Gegenteil alles vorherbestimmt ist, egal ob wir an eine höhere Macht glauben oder nicht. Egal, wer Du bist oder woran du glaubst: Die Tatsache, dass wir hier sind und dass wir so sind, wie wir sind, ist ein unglaubliches und phantastisches Wunder. Wir neigen nur dazu, das zu vergessen. Es trifft aber auf unseren möglicherweise unerfreulichen Alltag und den griesgrämigen Nachbarn genau so zu, wie auf den Klimawandel, den Plastikstrudel im Meer, die Bedrohung der Demokratie durch populistische und autoritäre Kräfte, das Artensterben, den Hunger, die allgegenwärtige, alles durchdringende Ungleichheit aller Art, Krieg und Hass.

Täglich sterben etwa 16.000 Kinder unter fünf Jahren. Nach seriösen Quellen [1] müssen wir davon ausgehen, dass die meisten davon an vermeidbaren Ursachen sterben. Während Du diesen Text liest, sind es etwa 50, aber sie sterben auch, wenn du den Text nicht liest. Das alles ist nicht selbstverständlich, und dennoch lebt ein Großteil der Menschheit, als sei es nicht zu ändern. Sowohl die meisten jener Menschen, die Opfer dieser Katastrophen sind, als auch jener, die der Katastrophe nur zuschauen, nehmen es als gegeben hin, was merkwürdig ist, wenn man bedenkt, was Menschen Tag für Tag bewegen und Außergewöhnliches leisten. 

Die Schwerkraft ist ein Naturgesetz.

Das hat uns nicht vom Fliegen abgehalten. Das Elend auf der Welt ist kein Naturgesetz. Wir haben uns einfach nur daran gewöhnt.

Man könnte argumentieren, dass auch die Schwerkraft nicht selbstverständlich ist und der müssen wir uns schließlich auch fügen. Das ist geradezu dramatisch richtig, nur weil etwas nicht selbstverständlich ist, lässt es sich nicht einfach ändern. Die Kinder, die jeden Tag sterben, lassen sich nicht wieder zum Leben erwecken. Die Arten, die verschwinden, sind unwiederbringlich verloren. Und doch: Die Schwerkraft mag sich nicht abschalten lassen, aber dennoch haben wir sie überwunden. Angesichts von knapp 42 Millionen Flugzeugstarts jährlich [2] scheint uns das überhaupt nicht schwer zu fallen.

Wir leben also ganz sicher nicht in der besten möglichen Welt und ich kann nicht aufhören mich zu fragen, warum das so ist?

Die näherliegende Frage, als die danach wo wir herkommen, ist deshalb, wo wir eigentlich hinwollen. Nur haben wir, so scheint es, aufgegeben sie zu stellen. Keiner unserer aktuell angewandten Gesellschaftsentwürfe beantwortet diese Frage. Weder die Autokratie, die Oligarchie oder die liberale Demokratie und schon gar nicht die freie Marktwirtschaft formulieren ein Ziel. Die Entwicklung der reicheren Welt basiert darauf zu befriedigen, was wir im Moment begehren und fragt nicht unbedingt danach, was wir brauchen.

Im Gegenteil: Ein äußerst vitaler Wirtschaftszweig beschäftigt sich mit nichts anderem, als damit, Menschen zum Kauf von Dingen zu animieren ohne zu fragen, ob diese wirklich gebraucht werden, einfach weil sonst das nötige Wachstum ausbleibt. Auf diesem Mechanismus haben wir ein ganzes System gebaut, dass gleichzeitig zu gigantischem Reichtum und zu krasser Armut geführt hat. Ohne, dass je jemand erklärt hätte, wohin uns das führt. Ist das nicht unglaublich? Es führt nicht zu mehr Glück, Freiheit oder Frieden es ist einfach da. Dabei ist das menschengemacht und keinesfalls ein Naturgesetz, wie die Schwerkraft. Und trotzdem scheint es schwieriger, dies zu überwinden, als zu fliegen, obwohl es „nur“ Kultur ist und nichts daran sich zwangsläufig ergeben hätte. Wir haben uns einfach nur daran gewöhnt.

Das Fliegen hat damit angefangen, dass jemand den Traum gehabt hat, die Schwerkraft zu überwinden und sich nicht damit abfinden wollte, dass es für uns unmöglich sein soll. Vielleicht sollten wir genau so anfangen, uns vorzustellen, wie anders die Dinge sein könnten und welche Welt wir tatsächlich wollen. Und deshalb sollten wir aufhören, sie als selbstverständlich zu betrachten. Hier gibt es eine Menge Platz dafür.

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1 UNICEF Child mortality Report 2022 […]

2 Das entspricht ca. 3 Flugzeugstarts inerhalb zwei Sekunden. Statista: Anzahl der Flüge in der weltweiten Luftfahrt von 2014 bis 2019 […]