der universaldilettant

Geteilte Meinungen

10% von 10% für 10%. Eine Beispielrechnung zur sinnvollen Umverteilung von Vermögen.

Macht die Umverteilung von Reichtum grundsätzlich Sinn oder wäre eine solche Maßnahme kaum wirksam, weil es zu wenig Reichtum für zu viele Arme gibt?

Eine Tatsache der unfassbaren Gegenwart, die mich immer wieder beschäftigt, ist die krasse Ungleichheit im Allgemeinen, aber vor allem zwischen den reichen Industrienationen und den Ländern des globalen Südens. Oxfam, überbietet sich selbst darin, auszurechnen, wie wenige Reiche, so viel besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung (zwischen acht und achtzig Personen waren es vor der Coronakrise) [1] und fordern eine gerechtere Verteilung. Wenn man bedenkt, dass extreme Armut tödlich ist, ist diese Erkenntnis kaum auszuhalten. Andere behaupten dagegen, wenn man das Vermögen der Reichsten verteilte, brächte das gar nicht so viel, es wäre der berühmte Tropfen auf den heißen Stein [2].

Der „Robin-Hood-Ansatz“.

Mal abgesehen davon, dass es parktisch kaum zu realisieren ist, hat mich das Gedankenexperiment interessiert. Bei einer Bloomberg Studie, die sich mit dem Thema befasst [3] geht es zumeist darum, das gesamte Vermögen der Reichsten einer Nation, gerecht zu verteilen. Eine der Erhebungen der Bloomberg Foundation zum Thema nennt sich deshalb auch passender Weise Robin-Hood-Index [4]. Hier wird das Vermögen des reichsten Bürgers einer Nation auf die Ärmsten verteilt und erwartungsgemäß sieht es z.B. in Indien, nicht so gut für den Einzelnen aus, da das Vermögen eines nicht ganz so superreichen Superreichen, auf eine sehr große Anzahl an Arme verteilt werden müsste. Eine weitere Bloomberg Studie rechnet vor, das Jeff Bezos, zu diesem Zeitpunkt der reichste Mann der Welt, mit seinem Vermögen das Budget des US Regierungshaushalts gerade mal 5 Tage lang bestreiten könnte [5]. Also tatsächlich: Ein Tropfen auf den heißen Stein? Grundlage solcher Berechnungen ist eine Idee von Gerechtigkeit, in der übergroße Vermögen möglichst gleichmäßig verteilt werden, um eine gewisse Verhältnismäßigkeit wieder herzustellen.

Der „Lebensretter-Ansatz“.

Was aber, wenn wir nicht einfach Ungleichheit, sondern den Kampf ums nackte Überleben zum Maßstab einer Umverteilung machten? Die Grundlage wäre also nicht: Alle sollen in relativem Wohlstand leben, sondern: Niemand soll aus Mangel am Notwendigsten, vom Tode bedroht sein. Und wie wäre es, wenn wir dabei die Reichen nicht berauben, sondern nur um einen Teil ihres Vermögens bäten, von dem wir annehmen dürfen, dass sie es tatsächlich entbehren könnten. Sagen wir 10%? Und damit es etwas breiter verteilt würde, als auf die absolut Megareichen, nehmen wir es von den reichsten 10% der Weltbevölkerung, die 83% des gesamten Vermögens der Weltgesellschaft besitzen [7], nämlich über 331 Billionen US-Dollar.

Wer bekäme das Geld?

Bleibt nur noch zu klären, wer das Geld bekäme. Laut Weltbank besitzt beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung (3,4 Milliarden Menschen) nicht die Mittel, die wichtigsten Grundbedürfnisse abzudecken. Noch schlimmer: In extremer Armut, also von weniger als einem $2,15 am Tag, leben immer weniger Menschen. 2018 waren es aber aber immer noch 689 Millionen [8]. Das sind nur sehr knapp 10% (genauer 9,2 %), aber die Weltbank erwartet aufgrund der Corona Pandemie, dass der Wert zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder steigen wird. Das Geld sollte also an eine dieser Gruppen gehen.

Und vor allem: Reicht es aus?

Laut des Global Wealth Report der Schweizer Bank Credit Suisse, beläuft sich das Gesamtvermögen aller Menschen auf der Welt im Jahr 2020 auf 399,2 Billionen US-Dollar. Jeder Erwachsene besäße, wenn alles gleich verteilt wäre, demnach 77.309 US-Dollar [9]. Das hört sich nicht nach sehr viel an. In den meisten Gegenden Mitteleuropas könnte man davon nicht mal ein Haus kaufen. Die Zahl zeigt nur, dass nach einer gleichmäßigen Verteilung alle zu wenig hätten und man damit den Mittelstand gut entwickelter Länder zerstört.

Nimmt man aber das Vermögen der Reichsten 10% und verteilt es auf die Menschen, die in extremer Armut leben, erhielte jeder dieser Menschen (nicht nur jeder Erwachsene) 48.089 US-Dollar. Eine vierköpfige Familie erhielte somit knapp 200.000 US-Dollar. Verteilte man die 10% des Vermögens der Reichsten 10% auf die 3.4 Milliarden die mit dem Allernotwendigsten auskommen müssen, erhielte jeder immer noch 8.103 US-Dollar und eine vierköpfige Familie 32.412 US-Dollar.

Im ersten Fall erhielte jeder Beschenkte das Äquivalent von 71 Jahreseinkommen. Da die Lebenserwartung in dieser Gruppe geringer ist, als in den Industrienationen (in Deutschland z.B. etwas über 80 Jahre), [10] wäre das vermutlich mehr als ein durchschnittliches Lebenseinkommen. Im zweiten Fall, indem die 10% an 3,4 Milliarden Menschen verteilt würden, wären es für die Gruppe der Ärmsten, immerhin noch zwölf und für die nicht ganz so Armen, vier Jahreseinkommen.

Aber, aber, aber, …

Ein Einwand gegen diese Idee könnte sein, dass die Kosten der Verteilung alleine schon Unsummen verschlingen würde. zunächst: Mir geht es mit diesem Beispiel nicht so sehr um einen konkreten Vorschlag, sondern um die Verdeutlichung, dass Umverteilung sehr wohl ein vernünftiges Mittel sein könnte, wenn sie unter dem Aspekt betrachtet wird, das Schlimmste verhindern zu wollen. Immerhin müssen wir bedenken: Wenn nur ein Prozent der extrem Armen, den Kampf gegen den akuten Mangel verlieren, bedeutet das millionenfachen Tod. Nehmen wir trotzdem an, man wollte es in die Tat umsetzen, dann müsste man sich an Systemen orientieren, in denen ebenfalls viel Geld umverteilt wird und wie hoch deren Verwaltungskosten sind. Z.B. das Deutsche Rentensystem mit immerhin über 270 Mrd. Euro Volumen. Die deutsche Rentenversicherung ist zu Recht, stolz darauf, bei der Verteilung der Renten, einen Kostenanteil von nur 1,3% erreicht zu haben [11].

Geld zu verschenken macht einfach nur Sinn.

Schlussendlich könnte man noch fragen, ob den Armen denn tatsächlich auch auf lange Sicht geholfen wäre, wenn man ihnen einfach Geld überließe? Dazu gibt es einige Studien [12] und Rutger Bregman geht dieser Frage in seinem Buch „Utopien für Realisten“ gleich in mehreren Kapiteln nach [13]. Hier seien repräsentative Ergebnisse von Wissenschaftlern der Universität Manchester zitiert: „Dank solcher Geldgeschenke sank in Namibia der Anteil der Personen mit Mangelernährung deutlich von 42 auf 10 Prozent, das Gleiche galt für Schulabwesenheit – von 40 Prozent auf beinahe null – und Kriminalität, um 42 Prozent. In Malawi stieg der Anteil der Mädchen und Frauen, die eine Schule besuchten, unabhängig davon, ob das Geld an Bedingungen geknüpft war oder nicht, um 40 Prozent. Immer wieder ist zu beobachten, dass vor allem Kinder profitieren.“ Und weiter fassten sie zusammen: „1. Die Haushalte verwenden das Geld umsichtig. 2. Die Armut wird verringert. 3. Einkommen, Gesundheit und Steuereinnahmen entwickeln sich langfristig besser. 4. Diese Programme kosten weniger als die Alternativen.“ [13]

Persönlich gefällt mir am besten an der Idee, dass niemand betteln müsste und nicht nur das. Was auch immer mit dem Geld passierte, läge im Ermessen der Empfänger, die selbstbestimmt festlegen könnte, was ihnen am besten helfen würde.

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1 Oxfam, Januar 2016: 62 Superreiche besitzen so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung […], Oxfam, Januar 2017: 8 Männer besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung […]

2 Finanzen100, September 2015: Was wäre, wenn die Reichsten den Ärmsten all ihr Geld gäben? […], Handelszeitung, September 2015: Wenn Milliardäre ihr Vermögen verteilen würden […]

Bloomberg, September 2015: What If the Richest Person in Every Country Gave All Their Money to the Poor? […]

Bloomberg 2018: Robin-Hood-index 20018 […]

Bloomberg, Februar 2018: What If the World’s Richest Paid for Government Spending? […]

6 Der Gini-Koeffizient drück die Ungleichheit der Verteilung von Vermögen in einer Gesellschaft aus. Beträgt er eins, besitzt einer alles und alle anderen nichts. Beträgt er null, besitzen alle gleich viel. WikiPedia: Gini-Koeffizient […]

Credit Suisse 2020: The Global wealth report 2020 […]

Weltbank, Oktober 2020: Powerty […]

Credit Suisse 2020: The Global wealth report 2020 […]

10 Weltbank: Lebenserwartung in Deutschland […]

11 ZEIT Online, Dezember 2020: 4,90 Euro gegen den Absturz […] Und aktuelle Daten der Deutschen Rentenversicherung 2020 […]

12 Department for Communities and Local Government, August 2012: Evidence review of the costs of homelessness […], Joseph Rowntree Foundation, Oktober 2010: Providing personalised support to rough sleepers […], Johannes Haushofer†, Jeremy Shapiro‡, Oktober 2013: Policy Brief: Impacts of Unconditional Cash Transfers […], The New York Times Magazin, August 2013: Is It Nuts to Give to the Poor Without Strings Attached? […], SSNR, November 2013: Generating Skilled Self-Employment in Developing Countries: Experimental Evidence from Uganda […], Blattmann, Jamison, Green, Annan, Mai 2014: The returns to cash and microenterprise support among the ultra-poor: A field experiment […], Bloomberg, Juni 2013: For Fighting Poverty, Cash Is Surprisingly Effective […], Weltbank, Mai 2014: Cash transfers and temptation goods : a review of global evidence […], University of Manchaster: Just Give Money to the Poor […], Christopher Blattman und Paul Niehaus, «Show Them the Money. Why Giving Cash Helps Alleviate Poverty», in: Foreign Affairs (Mai/Juni 2014), Joseph Hanlon u.a., Just Give Money to the Poor (2010)

13 Rutger Bregman | Utopien für Realisten | Rowohlt 2017 | Originaltitel: Utopia for Realists: Abschnitt „Warum wir jedermann Geld schenken sollten“